Die Rolle von KI als Entscheidungshilfe für Ärzt:innen
- nicolebruehl
- 24. Juni
- 4 Min. Lesezeit

Geschrieben von Darwish Thajudeen
Die globale Diagnoselücke
Etwa 5 % der erwachsenen Patient:innen in den USA erleben jedes Jahr Diagnosefehler – das entspricht rund 12 Millionen Menschen (1). Zum Vergleich: In ganz Belgien leben etwa 11,8 Millionen Menschen (2). Stellen wir uns vor, ein ganzes Land wie Belgien würde Jahr für Jahr falsch diagnostiziert. Wäre das nicht Grund genug, genauer hinzuschauen – und zu fragen, wie Künstliche Intelligenz hier unterstützend wirken kann?
Jeder einzelne medizinische Datenpunkt könnte einen wertvollen Hinweis liefern – doch in vielen Teilen der Welt fehlen Ärzt:innen oder diagnostische Mittel, um diese Daten sorgfältig auszuwerten. In ganz Afrika herrscht ein Mangel an medizinischem Fachpersonal (3), und viele Fachkräfte müssen lebenswichtige Entscheidungen unter hohem Druck und mit begrenzten diagnostischen Möglichkeiten treffen (4). In Umgebungen mit eingeschränktem Zugang zu Spezialist:innen und schwacher Infrastruktur verlassen sich Ärzt:innen oft ausschließlich auf ihre klinische Intuition – selbst bei ernsthaften Erkrankungen, die ihnen womöglich nicht bekannt sind.
Bei MI4People sind wir überzeugt: Künstliche Intelligenz kann hier einen echten Unterschied machen – indem sie Ärzt:innen mit gezielter Unterstützung zur Seite steht. Genau so verfolgen wir unser Ziel, KI für das Gemeinwohl zu entwickeln – und Machine Intelligence for People (MI4People) Wirklichkeit werden zu lassen.
Von statischen Regeln zu adaptiver Intelligenz
Traditionelle Systeme zur Entscheidungsunterstützung basierten auf starren Regeln – doch Künstliche Intelligenz bringt adaptive Intelligenz in die klinische Praxis. Mithilfe von maschinellem Lernen können KI-Systeme, die mit Tausenden von Gesundheitsdaten und Patient:innenakten trainiert wurden, heute subtile Auffälligkeiten erkennen, die selbst erfahrenen Ärzt:innen entgehen könnten. Solche Modelle könnten künftig komplexe Muster und Zusammenhänge identifizieren – und so vorausschauende Hinweise und Frühwarnungen bei komplizierten Erkrankungen und seltenen Krankheiten liefern.
Ärzt:innen stehen heute – insbesondere in ressourcenschwachen Regionen – häufig unter enormem Druck und erhalten zu wenig Unterstützung. Zeitmangel, hohe Patientenzahlen und diagnostische Unsicherheiten gehören zu ihrem Alltag. Doch Gesellschaft, Behörden und die Fachwelt müssen gemeinsam forschen und Forschung unterstützen, um zu verstehen: KI kann in genau diesem Bereich eine wertvolle Hilfe sein. Richtig trainiert mit präzisen Daten, validiert durch Fachexpert:innen und zugelassen durch Entscheidungsträger:innen, könnte KI als jederzeit zugängliche, verlässliche Zweitmeinung dienen. Besonders für junge Ärzt:innen oder Landärzt:innen ohne unmittelbaren Zugang zu Spezialist:innen wäre das ein großer Gewinn.
KI, die Ärzten dient und Leben rettet
Zwei Tools, die Ärzt:innen tagtäglich entlasten und bessere Diagnosen ermöglichen – mit Herz, Know-how und der tatkräftigen Unterstützung unserer Freiwilligen bei MI4People.
Projekt 1 – Sustain AI ECG
Bei MI4People arbeiten wir daran, lebensrettende Diagnosetools dorthin zu bringen, wo sie am dringendsten gebraucht werden. Eines unserer Vorzeigeprojekte ist der Einsatz KI-gestützter EKG-Analyse in Äthiopien – in einer Region, in dem viele Krankenhäuser keinen Zugang zu Kardiolog:innen oder modernen Diagnosesystemen haben.
Dank der Technischen Hochschule Mittelhessen (THM), die ihr KI-EKG-Tool MI4People kostenlos für den Einsatz in Afrika zur Verfügung gestellt hat, und mit finazieller Unterstützung der Bayerischen Staatskanzlei können wir eine Cloud-basierte lebensrettende Lösung auf AWS-Basis in 10 Kliniken einführen. Damit können Ärzt:innen mithilfe kostengünstiger Geräte EKG-Daten hochladen – und erhalten in Echtzeit eine KI-gestützte Diagnoseunterstützung.
Die Pilotphase läuft bereits in verschiedenen äthiopischen Krankenhäusern – mit dem Ziel, Allgemeinmediziner:innen dabei zu unterstützen, potentielle Herz-Kreislauf-Erkrankungen früher und mit größerem Vertrauen zu erkennen. Langfristig wollen wir dieses Tool auf weitere Regionen des Kontinents ausweiten und so sicherstellen, dass medizinisches Fachpersonal überall Zugang zu hochwertiger, erschwinglicher Diagnostik erhält.
Das Projekt verkörpert eine unserer Kernmission: Ärzt:innen in unterversorgten Regionen durch KI zu stärken – und den Nutzen technologischer Innovationen genau dorthin zu bringen, wo er am dringendsten gebraucht wird.
Projekt 2 – KI für seltene Krankheiten bei Kindern
Kinder mit seltenen Erkrankungen haben oft einen besonders schwierigen Weg vor sich. Viele Diagnosen erfolgen zu spät oder falsch – die kleinen Patient:innen werden von Ärzt:in zu Ärzt:in weitergereicht, bis die Krankheit oft schon fortgeschritten ist.
Da für über 95 % dieser Krankheiten keine zugelassenen Therapien existieren, ist eine frühzeitige und präzise Diagnose umso entscheidender. Gleichzeitig erzeugt die moderne Medizin riesige Mengen an komplexen Daten, die wichtige Hinweise für bessere Behandlungsansätze liefern könnten – doch für Einzelpersonen ist diese Informationsfülle kaum noch zu bewältigen.
Genau hier können KI und maschinelles Lernen einen entscheidenden Unterschied machen. Diese Technologien sind in der Lage, riesige Datenmengen zu analysieren, versteckte Muster zu erkennen und Ärzt:innen dabei zu unterstützen, genauere und individuellere medizinische Entscheidungen zu treffen – insbesondere bei komplexen und seltenen Erkrankungen im Kindesalter.
Aber auch für Erwachsene kann KI frühzeitige Warnzeichen für neurologische oder kardiovaskuläre Erkrankungen identifizieren – und so zu besserer Prävention und gezielteren Behandlungen beitragen.
In Partnerschaft mit der Care-for-Rare Foundation und dem Dr. von Haunerschen Kinderspital in München entwickelt MI4People eine sichere, dezentralisierte KI-Plattform zur Unterstützung der Diagnose und Behandlung von Kindern mit seltenen Erkrankungen. Diese Plattform soll medizinisches Fachpersonal mit KI-gestützten Werkzeugen unterstützen – und dabei gleichzeitig sicherstellen, dass sensible Patient:innendaten vollständig innerhalb der jeweiligen Klinik geschützt bleiben.
Der potenzielle Impact ist enorm: schnellere Diagnosen, weniger unnötige Tests und Behandlungen, geringere Belastung durch potenziell schädliche Medikamente – und vor allem die Chance, Leben zu retten. Gemeinsam können wir dafür sorgen, dass kein Kind mit einer seltenen Erkrankung übersehen wird.
KI befähigt, Ärzte entscheiden
Um unsere Gedanken zusammenzufassen: Wir glauben fest daran, dass KI niemals einen Arzt oder eine Ärztin ersetzen wird – aber sie kann ihnen mehr Sicherheit bei lebenswichtigen Entscheidungen geben, indem sie Millionen von Datenpunkten und evidenzbasierte Informationen zur Unterstützung bietet. Damit das Wirklichkeit wird, braucht es uns alle: Indem wir für KI zum Wohle der Gesellschaft eintreten, Aufklärungsarbeit leisten, Datenzugang demokratisieren, Forschung unterstützen, politische Entscheidungsträger motivieren und konkrete KI-Initiativen fördern.
Wir fühlen uns geehrt, dabei auf so viele engagierte Menschen zählen zu dürfen: Partner:innen, Fördernde, Berater:innen, Freiwillige und eine weltweite Community. Danke! Euer Glaube an technologiegestützten Fortschritt macht echten Unterschied im Leben echter Menschen. Vielleicht kann eines unserer Tools – gebaut mit eurer Unterstützung und Hingabe – eines Tages das Leben eines Kindes retten und ihm eine Zukunft voller Freude statt Schmerz schenken.
Der Weg von Daten zur Diagnose dreht sich nicht nur um Maschinen – sondern um bessere Versorgung und darum, Leben zu retten. Besonders dort, wo es am dringendsten ist. Und wir stehen erst am Anfang. Wenn du dich für KI zum Wohle der Gesellschaft begeisterst, dann lass uns vernetzen – und gemeinsam Leben retten.
Lass uns gemeinsam die Zukunft mitgestalten,
MI4People Team
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